Eröffnungsrede von Präsidentin von der Leyen anlässlich der Verleihung des Internationalen Preises des Westfälischen Friedens an den französischen Präsidenten Macron

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, lieber Frank,

liebe Frau Büdenbender,

Monsieur le Président Macron, cher Emmanuel, chère Brigitte,

sehr geehrte Ministerinnen Nowacka und Paus,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst, lieber Hendrik,

sehr geehrte Ministerinnen und Minister des Landes Nordrhein-Westfalens,

sehr geehrter Herr Vorsitzender Merz, lieber Friedrich,

Königliche Hoheit,

sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlamentes, des Deutschen Bundestages und des nordrhein-westfälischen Landtages,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Lewe,

sehr geehrter Herr Zinkann,

liebe Gäste,

lassen Sie mich zunächst der Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe danken. Welch eine Ehre, diesen Festakt eröffnen zu dürfen. Westfalen ist der Geburtsort des modernen Europas. Der Dreißigjährige Krieg war einer der brutalsten Konflikte in der Geschichte der Menschheit. Er hat über 5 Millionen Menschen das Leben gekostet.

Doch inmitten eines Meeres von Leid geschah etwas Revolutionäres. 235 Delegationen aus ganz Europa haben hier in Westfalen zusammengefunden. Sie stritten und diskutierten über zwei lange Jahre, bis sie endlich eine gemeinsame Vision entwickelt hatten, wie ein dauerhafter Frieden in Europa aussehen könnte. Zum ersten Mal einigten sich die Europäerinnen und Europäer auf eine Reihe von Regeln, die unterschiedslos für alle Staaten auf unserem Kontinent gelten sollten. Dies war die Geburtsstunde des modernen Völkerrechts. Alle Staaten sollten an Würde und Rechten ebenbürtig sein, ob groß oder klein, katholisch oder protestantisch, alt eingesessen oder neu gegründet. Entwickelt wurden solche Gedanken bereits 70 Jahre früher durch den französischen Staatstheoretiker Jean Bodin. Und darauf aufbauend kam es dann hier 1648 zur Geburtsstunde des modernen Konzepts staatlicher Souveränität.

Bis heute ist dies das tragende Fundament des internationalen Friedens. Es ist das, was wir die Regel-basierte Ordnung nennen. Dies ist das große Geschenk, das Westfalen nicht nur Europa gemacht hat, sondern der ganzen Welt. Dies ist das Erbe, das Europa nicht nur pflegen, sondern auch schützen, erhalten und hochhalten muss. Deshalb ist dieser von der Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe gestiftete Preis auch heute noch so bedeutend.

Meine Damen und Herren,

die Prinzipien, die dieser Preis hochhält, sind in der Welt von heute wichtiger denn je. Putin hat den Krieg nach Europa zurückgebracht. Als seine Panzer in die Ukraine rollten, war das zugleich ein Angriff auf die Charta der Vereinten Nationen. Es ist auch ein Angriff auf die europäische Sicherheitsordnung. Es ist ein Angriff auf die Idee staatlicher Souveränität und auf das Verständnis, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen. Und genau deshalb muss Putin mit seinem kalten Kalkül scheitern. Wenn sein imperialistischer Krieg Erfolg hätte, wäre ganz Europa existentiell bedroht.

Herr Präsident Macron,

das war ein zentraler Punkt in Ihrer beeindruckenden Sorbonne-Rede. Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine ist im Sicherheitsinteresse aller Europäerinnen und Europäer. Die Menschen in der Ukraine verteidigen ihr Land und unsere Sicherheit. Wir müssen die ganze Kraft unserer Union dafür mobilisieren, dass die Ukraine dem Aggressor die Stirn bieten kann. Ein gerechter und dauerhafter Frieden kann nur auf dem Völkerrecht und auf starken Sicherheitsgarantien für die Ukraine gründen. Und wir müssen unseren Beitrag dazu leisten.

Herr Präsident, wie Sie gestern in Dresden sagten: « Nous sommes à un moment inédit de notre histoire où nous devons penser notre défense et notre sécurité par nous-mêmes et pour nous-mêmes en tant qu'Européens ». „Wir befinden uns in einem beispiellosen Moment in unserer Geschichte, in dem wir über unsere Verteidigung und Sicherheit allein und für uns als Europäer nachdenken müssen.“ Heute ist Europa auf dem Weg zu mehr Souveränität in der Verteidigung.

Die vergangenen Jahre haben uns in aller Klarheit vor Augen geführt, dass wir eine eigene europäische Stärke entwickeln müssen, in jeder Hinsicht, wenn wir den Frieden auf unserem Kontinent erhalten wollen. Und genau deshalb ist es richtig, dass die Verteidigungsbudgets in Europa steigen und wir mehr in die Verteidigungsindustrie investieren.

Deshalb ist die Arbeit an einer gemeinsamen Verteidigungsunion in Europa richtig. Sinnbildlich für diesen neuen europäischen Auftrag, ist die Initiative eines Luftabwehrschirms. Sie begann mit der Rede in Prag von Bundeskanzler Scholz. Sie, Herr Präsident, haben in Ihrer Sorbonne-Rede die Tür für eine europäische Diskussion geöffnet. Und vor ein paar Tagen haben die Premierminister Tusk und Mitsotakis diesen Impuls aufgenommen. Eine Europäische Union ist nur dann wirklich souverän, wenn sie sich selber behaupten kann. Genau das erwarten die Menschen von Europa. « Une Europe qui protège », comme vous l'avez dit, Monsieur le Président. Ein Europa, das schützt, das braucht auch unsere Demokratie.

Ihre Gegner wollen nicht nur physische Grenzen mit Gewalt verschieben, sie wollen auch Grenzen in unseren Köpfen verschieben. Sie nutzen nicht nur Drohnen, Panzer und Raketen, sondern ebenso Bots, Trolle und fake-accounts. Und das systematisch und im industriellen Maßstab. Sie testen unsere Widerstandsfähigkeit tagtäglich auf allen Ebenen. Ob es durch die Instrumentalisierung von Migranten aus dem Jemen ist, die zu tausenden in den Grenzwäldern Finnlands auftauchen, oder ob es Grenzbojen in Narva sind, die plötzlich verschwinden, oder ob es Cyberangriffe auf demokratische Institutionen sind. Ich könnte viele weitere Beispiele anführen – das Ziel ist dasselbe: Es geht um die Erschütterung unseres Sicherheitsgefühls und das Unterminieren des gesellschaftlichen Friedens. Es geht am Ende um die Zerstörung des europäischen Gedankens.

Und gerade weil es um alles geht, müssen wir größer und weiter denken. Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir – wenn wir zusammenhalten – Berge versetzen können. Wir haben die Pandemie gemeinsam gemeistert, wir haben Putins Erpressungsversuch über Gaskappung widerstanden, wir haben eine massive Energiekrise überwunden, weil wir zusammengehalten haben: 27 Staaten und 450 Millionen Menschen.

Mit derselben Haltung und derselben inneren Stärke müssen wir uns diesen Herausforderungen stellen. Wir haben Jahrzehnte des Friedens genossen. Wir haben die tiefen Spaltungen Europas überwunden. Wir haben eine einzigartige wirtschaftliche Stärke aufgebaut. Und jetzt geht es wieder um unsere Demokratie und unsere Freiheit. Die junge Generation würde es uns niemals verzeihen, wenn wir uns dieser Aufgabe nicht beherzt stellen würden, wenn wir nicht mit Mut und Klarheit die Fundamente Europas verteidigen, und wenn nicht alle ihren Beitrag dazu leisten, dass wir ein freies, friedliches, aber vor allem handlungsfähiges Europa haben. Und in diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch an alle Preisträger. Vielen Dank für ihren Einsatz.

„Vive l'Europe“.

Lang lebe Europa.